Fragen und Antworten zu diesem komplexen Themenfeld
In Baden-Württemberg gibt es drei Rückbauprojekte von kerntechnischen Anlagen: Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis), Neckarwestheim (Landkreise Heilbronn und Ludwigsburg), Philippsburg und Eggenstein-Leopoldshafen (Landkreis Karlsruhe). Der Landkreis Karlsruhe verfügt über keine eigene Deponie zur Entsorgung der freigemessenen Abfälle, sondern hat stattdessen einen Kooperationsvertrag mit dem Enzkreis zur Mitnutzung der Deponie „Hamberg“ in Maulbronn – der aktuelle Ausbaustand dieser Deponie jedoch reicht für das anfallende Material nicht aus. Freigemessene Abfälle gelten als konventionelle Abfälle und könnten wie normaler Bauschutt auf geeigneten Deponien entsorgt werden.
Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, das ursprünglich sogar eine zwangsweise Zuweisung an einzelne Deponien geprüft hat, ist deshalb Ende 2022 vertraulich auf den Neckar-Odenwald-Kreis mit der Frage zugekommen, ob man sich eine freiwillige Beteiligung an einer Gesamtlösung vorstellen könnte. Nach umfangreichen Abstimmungen und Verhandlungen hat Ende Februar 2025 der Aufsichtsrat der AWN den Vereinbarungen einstimmig zugestimmt. Vorausgegangen waren auch Abstimmungen in verschiedenen kommunalpolitischen Gremien.
Die vom Landkreis- und Städtetag unter Mitwirkung des Umweltministeriums erarbeitete und im Sommer 2015 vorgestellte Handlungsanleitung stellt sicher, dass nur spezifisch freigemessener Abfall, der zweifelsfrei für die Entsorgung auf einer Deponie aus dem Atomgesetz und dem Strahlenschutz entlassen wurde, an Deponien angeliefert wird. Es findet eine lückenlose Kontrolle durch einen vom UM bestimmten Sachverständigen (z. B. TÜV) statt. Für die Deponiebetreiber besteht die Möglichkeit, mit eigenen Gutachtern Kontrollmessungen durchzuführen. Bei der Handlungsanleitung eingebundene Deponien in Baden-Württemberg nehmen Rückbaumaterial nur an, wenn nach der Handlungsanleitung verfahren wurde – dies ist zwischen allen Beteiligten so festgelegt.
Zwischenzeitlich wurden in der Tagespresse einige Beiträge zu diesem Thema veröffentlicht. Verschiedene Inhalte oder Zitate stimmen nicht mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft überein. Die AWN hat diese Fragen mit dem ÖKO-Institut e. V., Dr. Veronika Ustohalova, Nukleartechnik & Anlagensicherheit, Mitglied der Strahlenschutzkommission, die das Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz berät, besprochen und geht nachfolgend darauf ein:
Die Messverfahren (für den Freimessvorgang) beruhen auf Annahmen, die 30 Jahre alt sind
Die Messeinrichtungen müssen die Anforderungen der DIN ISO 11929, der aktuellen DIN 25457 Teil 1 und der neuen Strahlenschutzverordnung von 2018 §35/§36 und §58 zur Durchführung von Entscheidungsmessungen erfüllen - es sind somit AKTUELLE Verordnungen.
Nach aufwändigen Laborvoruntersuchungen, bei denen Höhe der möglichen Kontamination u. die Materialbeschaffenheit ermittelt werden, wird entschieden, ob das Material für die spezifische Freigabe zur Deponierung geeignet ist - dieses Material wird dann „neu“ vermessen. In der Freimessanlage erfolgt die Gammaspektrometrie für eine mögliche Berücksichtigung der Alpha-, Beta und Gammastrahler.
Man ging von wesentlich weniger Material aus je Deponie – eine Akkumulation auf einzelne Deponien war nicht vorgesehen?
Auch hier gilt das de-minimis-Konzept, die erlaubte Maximalstrahlung von 10 Mikro-Sievert darf nicht überschritten werden. Da diese Berechnungen mit insgesamt sehr vorsichtigen Annahmen durchgeführt werden, ist i. d. R. von einer deutlichen Unterschreitung der Dosis von 10 Mikro-Sievert auszugehen. Die Dosis bezieht sich nicht auf einzelne Chargen, sondern auf die max. zulässige Gesamtmenge aller Anlieferungen sowohl in Jahresfrist als auch bis zur Schließung der Deponie und der Nachnutzung. Dies wird behördlich überwacht.
Die Strahlung der Einlagerung käme „on top“ zur natürlichen Strahlenbelastung hinzu – Schutz des ungeborenen Lebens?
Die Bevölkerung erhält keine zusätzliche Dosis, nicht einmal die 10 Mikro-Sievert: Für die Bevölkerung wird es keine Erhöhung der Strahlung geben – die maximal zulässige Dosis von 10 Mikrosievert könnte allenfalls bei einem eng begrenzten Personenkreis erreicht werden, der direkt mit diesem Material zu tun hat, wie beispielsweise Mitarbeiter des Kernkraftwerkes.
Durch Freimessung aus Atomrecht entlassen – also doch gefährlich?
Als Deponien für die Beseitigung freigegebener Stoffe sind nur solche geeignet, die mindestens den Anforderungen der Deponieklassen nach Deponieverordnung aufweisen. Das sind die Deponieklassen I bis IV, die über eine Basisabdichtung verfügen. Darüber hinaus müssen die Deponien eine Jahreskapazität von mindestens 10.000 Mg im Kalenderjahr für die eingelagerte Menge von Abfällen aufweisen.
Modell Frankreich, dort bleibt es unter Atomaufsicht?
Auch in Frankreich wird der überwiegende Teil der bei Stilllegung und Abbau von Kernkraftwerken anfallenden Reststoffe konventionell, also auf Deponien, entsorgt. Der Begriff „Freigabe“ wird zwar nicht verwendet, für die radiologischen Konsequenzen ist die Begriffswahl aber nicht entscheidend.
Im französischen Konzept dürfen teils um Größenordnungen höhere Aktivitätskonzentrationen auf der dazu eingerichteten oberflächennahen Deponie Centre de Morvilliers entsorgt werden, als dies nach Freigabe zur Beseitigung auf einer Deponie in Deutschland zugelassen ist – dabei sind jedoch die Anforderungen an die Abdichtung des Deponiekörpers nicht „deutlich“ aufwändiger. In Centre de Morvilliers werden große Massen entsorgt, teils um Größenordnungen höhere Aktivitätskonzentrationen, als es in Deutschland möglich wäre.
Es ist eine Art des Endlagers für sehr schwach radioaktiven Abfall. Das würde die Freigabe in Deutschland nicht zulassen.
Der Schutt müsse im Landkreis bleiben?
Die jeweiligen Abfallrechtsbehörden der Länder können Deponien zur Annahme verpflichten, um einen Entsorgungsnotstand zu verhindern. Dies ist deutschlandweit an anderen Standorten bereits geschehen, so z. B. in Hessen (Rückbau AKW Biblis) und Schleswig-Holstein (AKW Brunsbüttel), und teilweise derzeit Gegenstand von Gerichtsverfahren.
Diese Annahmeverpflichtung gilt nur innerhalb der Bundesländer.
„Experten“ seien sich einig, das Beste wäre den Schutt auf dem AKW-Gelände zu lassen?
Auf dem AKW-Gelände gibt es im Zuge des Rückbaus keine freien Flächen-Kapazitäten. Auch dürfte hier keine Art einer „Deponie“ entstehen. Aktuelle Deponien DK 1-4 verfügen über eine aufwändige Basisabdichtung – diese haben „normale“ Bauwerke, auch AKWs, nicht. Auf AKW-Gelände belassen wäre somit die schlechtere Lösung.
Deutschlandweite Annahme von Material?
Alle Bundesländer sind verpflichtet, eigen Lösungen zu finden – Zuweisungen aus anderen Bundesländern sind nicht möglich.
Welche Mengen kommen in Buchen an?
Beim Rückbau der Anlagen Kernkraftwerks Philippsburg der EnBW und der kerntechnischen Anlagen der KTE in Karlsruhe fallen insgesamt als spezifisch freigemessenes Material zur Einlagerung auf Deponien ca. 16.300 und 13.000 Tonnen an. Welche Mengen nach Buchen kommen, ist derzeit nicht abzuschätzen. Es gilt, dass an erster Stelle die Deponie Maulbronn annehmen und dass der Landkreis Karlsruhe mit Nachdruck ein eigenes Deponieprojekt verfolgen muss. Die Deponie Sansenhecken ist für die nicht abgedeckten Mengen zuständig, aber auch nur dann, wenn die Anlieferungen aus Obrigheim dies zulassen (10 Mikro-Sievert-Konzept).
Ich glaube nicht, dass es „ungefährlich“ ist
Dazu ein Beispiel: Beim Freimessvorgang auf dem jeweiligen AKW-Gelände sind hochqualifizierte Mitarbeiter des Betreibers, von externen Dienstleistern und des Gutachters TÜV tagelang „inmitten“ des in Bigbags verpacken Rückbaummaterials. Wieso sollten diese Beschäftigten einem unnötigen Risiko ausgesetzt werden? Nur nebenbei, im Bereich der Freimesshalle ist das Tragen von Dosimetern (Strahlungsmessgeräten) in der Regel nicht notwendig, weil es sich nicht um einen Kontrollbereich mit erhöhter Strahlung handelt, in manchen medizinischen Einrichtungen mit Röntgen aber schon!
Transparenz?
Die Anlieferung von Bauschutt (um den handelt es sich bei den spezifisch freigemessenen Abfällen) sind von den Zulassungen der Deponie voll gedeckt. Es bedarf hier keinerlei Änderungen. Alle zuständigen politischen Gremien wurden in den Entscheidungsprozess frühzeitig mit eingebunden.