Sammlung von Altspeisefett/-öl / „Upcycling statt Abflussrohr“
Der Gedanke ist eigentlich genial und vor allem umweltfreundlich: Anstatt dass gebrauchtes Speiseöl in den Abfluss wandert und dadurch Rohre verstopft, wird dieses gesammelt und daraus klimaneutraler Kraftstoff erzeugt. Muss nur noch die Frage geklärt werden, wie die alten Öle und Fette vom Haushalt zur Aufarbeitungsanlage kommen.
In Haßmersheim hat man seit dieser Woche die Antwort, denn im Rahmen eines zweijährigen Pilotprojektes, angestoßen von der Gemeinde, zusammen mit der Jeder Tropfen zählt GmbH aus Thalmässing und der KWiN steht nun auf dem Parkplatz des Rewe-Marktes ein Sammelautomat, an dem in zuvor ausgeteilten Kunststoffflaschen das gebrauchte Öl abgegeben und gleich wieder eine neue Flasche mitgenommen werden kann.
Der Startschuss mit „großem Bahnhof“ war Anfang der Woche im Haßmersheimer Rewe-Markt. Im Cafe-Banschbach freute sich Bürgermeister Christian Ernst über die zahlreichen Gäste, allen voran Landrat Dr. Brötel, KWiN Vorstand Sebastian Damm, den Verbandskirektor der Metropolregion Ralph Schlusche und Martin Kneisel, Referatsleiter bei Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg aus Stuttgart. Dieses Projekt, so der Bürgermeister, sei ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz – man wolle in den nächsten zwei Jahren herausfinden, wie viel „Biokraftstoff aus den Küchen“ kommen könne. Die Jungendfeuerwehr werde in den nächsten Tagen die grünen Tauschbehälter an alle Haushalte der Gesamtgemeinde verteilen. Er dankte der Betreiberfamilie des Rewe-Marktes Idrizaj für die Zusammenarbeit. Genauso wichtig für dieses Projekt seien die Sponsoren, vertreten durch die Vorstände Martin Graser und Marco Garcia von der Sparkasse und der Volksbank sowie Tobias Hornung und Ralph Mündörfer vom örtlichen Unternehmen European Aerosols.
KWiN-Vorstand Sebastian Damm freute sich in seinen Grußworten über dieses innovative Projekt. Vielleicht könnte in Zukunft auch „die Müllabfuhr“ mit diesem Kraftstoff klimafreundlich betankt werden. Zudem könne man im Rahmen eines solchen Projektes sehr gut mit Haushalten in den Dialog treten. Damm war sich sicher, dass dieses Projekt gut ankommen werde.
Hubert Zenk und Christian Hilbert von der Betreiberfirma Jeder Tropfen Zählt GmbH gaben anschließend interessante Hintergrundinformationen: Bereits seit 2017 sammle man zusammen mit dem Speiseölverwerter Lesch, ein Mittelständler mit über 100 Mitarbeitern und 25.000 Kunden, vorwiegend im süddeutschen Raum Öle und Fette aus Haushalten. Die Gründe seien einleuchtend; einfach „in Spüle oder WC“ ausgegossenes Speiseöl verstopfe die Leitungen im Haus und im Kanalnetz und sei schlecht für die Kläranlage. Der gewonnene Kraftstoff dagegen ermögliche rund 90% CO2-Einsparung verglichen zum üblichen Herstellungsverfahren aus Erdöl und man sei definitiv raus aus der „Teller-Tank-Diskussion“, für diese Mengen müssten keine Energiepflanzen angebaut werden. Rund 1,3 kg könne man im Idealfall pro Bürger und Jahr sammeln. Hier gehe man davon aus, Ende des zweiten Jahres bei rund 500 Gramm zu liegen. An Wertstoffhöfen in Bayern werde beispielsweise bisher lediglich 80 Gramm gesammelt. Nachbarländer wie Italien, Spanien oder Holland, so Zenk, seien diesbezüglich schon deutlich weiter als Deutschland.
Damit die Bevölkerung gut mitmachen könne und vor allem wolle, sollten folgende Voraussetzungen gegeben sein: Der Automat muss immer erreichbar sein, der ideale Stellplatz liegt an den üblichen Besorgungswegen (also eher an einem Supermarkt als im Wertstoffhof), die grünen Tauschbehälter mit 1,3 Liter Inhalt müssen zu Start jedem Haushalt „vor die Türe“ gestellt werden und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit sei notwendig. Mit Haßmersheim habe man deshalb einen idealen Partner gefunden. Während dieser Pilotphase werde permanent überwacht, nach zwei Jahren könne man dann entscheiden, ob man dieses System beispielsweise kreisweit einführen wolle.
Landrat Dr. Achim Brötel sah diese Aktion als eine interessante Ergänzung zu den diesjährigen 1250-Jahre-Feierlichkeiten der Gemeinde. Statt dass verbrauchtes Speiseöl „auf seltsamen Wegen“ im Abfluss verschwinde sei es viel sinnvoller, Fahrzeuge damit zu betreiben. So bekomme Haßmersheim buchstäblich „sein Fett weg“. Nicht ohne Stolz verwies Brötel auf zahlreiche Projekte des Landkreises und der Kreislaufwirtschaftsgesellschaft im Bereich Bioökonomie und man habe noch einiges in Vorbereitung. Die Gemeinde nehme zusammen mit den Sponsoren Geld in die Hand, um „für die Bioökonomie“ Erfahrungen in Hinblick auf die Akzeptanz und die Abläufe zu sammeln.
Verbandsdirektor Ralph Schlusche freute sich zusammen mit Dr. Miriam Freudenberger,Projektleiterin Kommunale Bioökonomie im Bereich Zukunftsfelder und Innovation beider Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, über dieses in der Metropolregion „einmalige“Projekt. Eine solche „Vorreiterrolle“ passe gut in den Neckar-Odenwald-Kreis.
Martin Kneisel wünschte sich noch viel mehr „stoffliche Verwertung“ der Abfälle. InnovativeLösungen funktionierten oft „von unten nach oben“, also wenn jede Familie mitmachenwürde, am besten. Trennung sei wichtig für die optimale Weiterverarbeitung der Stoffe. Nurso könne Abfall kostengünstig und umweltfreundlich weiterverarbeitet werden, was sichschlussendlich auch an fairen Abfallgebühren widerspiegeln würde. Er hoffe, dass in Zukunftmöglichst viele auf diesen Zug aufspringen würden.
Anschließend wurden weitere technische Hintergründe erläutert. Die Rückmeldungen ausder Bevölkerung, aktuell ca. 600.000 Personen, seien durchweg positiv. Die Reinigung derAltöle wird, so Zenk, ohne Chemie durchgeführt. Grundsätzlich gehe man davon aus, dassbei einer weiteren Verbreitung die Unterhaltskosten durch Automation und höherenStückzahlen geringer würden. Zum Projektstart mit entsprechenden „Anlaufkosten“ lägen dieKosten bei 1,35 € pro Bürger und Jahr.
Abschließend wurde der Sammelautomat auf dem Rewe-Parkplatz erläutert. Der gefüllteSammelbehälter wird einfach in ein Fach gestellt, kurz darauf wird eine „neuer“ gereinigterBehälter ausgegeben. Hier war man sich einig: Das Handling dieses Automaten „animieregeradezu zum Mitmachen“, bequem für den eigenen Haushalt und gut für die Umwelt.